Auf ein Wort
Sich gegenseitig achten? (Fünftes Gebot)
Von Burkhard Budde

Auf ein Wort
Sich gegenseitig achten? (Fünftes Gebot)
Zehn Lebensperspektiven begründen das Zusammenleben, stärken den Zusammenhalt und erneuern das Zusammenbleiben: Die Zehn Gebote gehören zur einheits- und sinnstiftenden Schatzkammer von Juden und Christen. Sie sind jedoch auch eine Einladung an Andersdenkende, in den Raum des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe einzutreten, um neue Entdeckungen sammeln zu können – vielleicht auch ein glückseliges Leben in der letzten Geborgenheit bei Gott und in der Verantwortung vor Gott und dem Nächsten.
Die fünfte Perspektive in jüdischer Lesart lautet:
Ehre deinen Vater und deine Mutter. Dann wirst du lange in dem Land leben, das der Herr, dein Gott, dir gegeben hat.
Die Eltern ehren?
Eine mögliche Antwort ist:
Weil Gott will, dass Eltern und Kinder sich als eine bleibende gute Gemeinschaft erleben.
Dein Leben wird beseelt, gewinnt Sinn und Liebe, wenn du deine Eltern achtest und ihre besonderen Aufgaben der Fürsorge und Erziehung sowie ihren Einsatz, dich zur Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit zu befähigen, anerkennst. Doch auch die Eltern sollen die Würde und das Wohl ihrer Kinder, die mit eigenen Rechten und Pflichten erwachsen werden sowie eines Tages selbst Eltern werden können, achten. Eltern und Kinder sollen nicht an dem Ast des Lebens sägen, auf dem alle Menschen sitzen.
Aber wenn Eltern ihre Verantwortung nicht wahrnehmen?
Ein Kind ist ja keine Ware, die gekauft und verkauft werden kann; kein Hund, der dressiert wird und auf Kommando folgt; kein Kitt, der eine kaputte Beziehung zusammenhält; keine Trophäe, kein Siegeszeichen der Eltern. Eltern brauchen allerdings auch kein staatliches Zertifikat, um ihrer Erziehungsverantwortung gerecht zu werden; sie sollten sie jedoch hinreichend und vorrangig wahrnehmen und danach fragen, was ihr Kind braucht: Achtsamkeit und Zuwendung, bestmögliche Unterstützung und Förderung, vor allem gelebte und vorgelebte Werte und Normen, zum Beispiel Verlässlichkeit, Ehrlichkeit und Fairness, Verstehen und Verständigung, Lern- und Vergebungsbereitschaft. Und soziale Regeln, die nicht einschüchtern, mies- und kleinmachen oder den Willen des Kindes brechen, sondern einem Kind durch klare und konsequente Ansagen und Grenzziehungen Schutz, Orientierung und Halt geben, so dass in der Schutzzone der Familie die Fähigkeit der Freiheit in Verantwortung eingeübt wird.
Diese Zone ist besser als ein Erziehungsvakuum mit Gleichgültigkeit oder Hilflosigkeit, in dem ein Kind hin- und herpendelt, auch geeigneter als ein Überwachungsraum mit Überfürsorge oder Ängstlichkeit, indem Eltern ständig um ihr Kind kreisen. Erziehung als Grundlage der Bildung eröffnet am besten Freiräume wachsender Eigenverantwortung und sozialer Persönlichkeitsentwicklung.
Eltern, die das Wohl des Kindes im Auge haben und positive Vorbilder im Blick auf das Einüben sozialer Kompetenzen sind, prägen ihr Kind. Diese „Saat“ kann später aufgehen, so dass ihr Kind selbst zum Vorbild wird, indem es sich um seine Eltern im Alter nach bestem Wissen und Gewissen sowie nach seinen Möglichkeiten kümmert.
Dann können auch offene sowie vertrauensvolle Gespräche auf Augenhöhe angestrebt werden, die bei Konflikten nach Lösungen suchen, vor allem die nachhaltige Wirkungen auf das eigene Kind haben, so dass sich der solidarische Generationenvertrag wie von unsichtbarer, aber liebender und erfahrbarer Hand verlängert.
Burkhard Budde
Veröffentlicht in der Kolumne „Auf ein Wort“ des Wolfenbütteler Schaufensters am 15.10.2023