Moment mal
Freiheit zu hoffen
Von Burkhard Budde

Moment mal
Freiheit zu weinen und zu hoffen
Erst Glück erleben und überglücklich sein, dann Freudentränen vergießen. Erst Unglück vermehren und gefährlich sein, dann Krokodilstränen zur Schau stellen. Erst Streitereien anzetteln oder zermürbend streiten, dann klagend oder wütend weinen.
Manchmal fließen jedoch auch Tränen im Verborgenen. Ein Mensch sitzt allein in seinem dunklen Zimmer und weint bitterlich.
Es weint ein Mensch, der mit einer Würde ausgestattet ist, die er als unverlierbare Mitgift geschenkt bekommen hat. Ein einmaliger Menschen mit einer unsichtbaren Würde: Er ist kein Stuhl, der ausgetauscht, hin- und hergestellt oder in die Ecke gestellt werden kann; keine Maschine, die repariert, aus- oder umgetauscht oder entsorgt werden kann; kein Ball, mit dem gespielt, der gefangen, aufgefangen oder weggeworfen werden kann.
Warum weint dieser Mensch? Hat er Kummer, eine Enttäuschung erlebt, falsche Erwartungen gehabt? Gibt es frustrierende Erfahrungen im beruflichen, familiären oder gesellschaftlichen Leben, gar in der Liebe? Durchleidet er Ängste in Einsamkeit, in Krankheit, in Krisen? Oder hat er Angst vor Einsamkeit, vor Krankheit, vor Krisen?
Gibt es für ihn und andere Trauernde Trostpflaster – oder nur Vertröstungen auf „bessere Zeiten“?
Nicht unterdrückte Tränen können von einem Seelenstress entlasten – also wie ein Ventil wirken; echte Tränen das Fenster der Zuversicht einen Spalt öffnen – also Licht in das dunkle Zimmer einer Seele eindringen lassen. Und ein verständnisvolles sowie persönliches Wort kann zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort ermutigen, neues Denken und Fühlen in Gang zu setzen.
Ein Trauernder, der getröstet wurde, berichtet: „Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben. Aus den Trümmern meiner Erfahrungen konnte ich Bausteine für einen Neuanfang formen.“ Jetzt könne er besser verstehen, dass ein Mensch hoffe, solange er lebe. Und dass er lebe, solange er hoffe.
Menschen, die auf versteckten Sinn in der Ohnmacht hoffen, werden frei zu weinen, um dann behutsam und schrittweise ihr Leben neu zu bejahen. Und manche von ihnen vertrauen auch dem mit- und selbstleidenden Gott der Christen, der verzweifelte Trauertränen in tröstende Hoffnungstränen verwandeln und in einer erneuerten Gemeinschaft Tränen trocknen kann.
Also vielleicht erst einmal weinen, aber dann auf Glück, Geborgenheit und Erneuerung selbst im Unglück hoffen.
Burkhard Budde
Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 3.9.2022
in der Kolumne „Moment mal“