Moment mal
Fels in der Flut
Von Burkhard Budde

Ein Fels gibt sich nicht auf – trotz der Flut
Moment mal
Fels in der Flut
Die Stille verzaubert die Sinne, beruhigt und beflügelt zugleich die Seele. Vieles wirkt friedlich und idyllisch. Aber kann das auch die bekannte Ruhe vor dem großen Sturm sein?
Eine unbarmherzige Flut, die sich keiner wirklich wünscht, kommt manchmal wie aus heiterem Himmel: Mit den Überschwemmungen des Alltäglichen, Gewohnten und Bewährten. Mit der Wucht der Wellen der Angst, der Sorgen und des Leidens. Mit den Zerstörungen durch Gier und Hochmut, Neid und Selbstsucht, Hass und Feindschaft, Heuchelei und Intrigen.
Ein Fels, der sich nicht aufgibt, verschweigt nicht die Flut, beschönigt sie nicht, erstarrt auch nicht einfach zur Borniertheit. Der Fels kann die Flut nicht wegzaubern, wohl aber entzaubern, indem er sie durch seinen Willen zum Leben, durch Wehr- und Leidensfähigkeit, sein Profil und seinen Widerstand annimmt und damit verändert. Die Flut, die übermächtig sein will, ist mächtig, aber nicht allmächtig. Sie quält das Gute, Schöne und Wahre und vermischt sich mit ihnen als wenn sie ein Zauberer mit üblen Sprüchen wäre. Aber das Innere des Felsen – die Selbstachtung und Liebe – ist unantastbar, kann nicht zerstört werden und bleibt stärker als alle Mächte, die den Felsen brutal zu beseitigen versuchen.
Es gibt einen unsichtbaren Felsen in einem Menschen, der keine Zauberei, jedoch einen Zuflucht- und Schutzort sowie Hoffnungs- und Energieort darstellt. Hier kann sich ein leidgeprüfter Mensch Luft verschaffen: Hier ist Raum für Klagen, Schreien, Ohnmacht oder Verstummen. Hier können wildes und verletztes, naives und dummes, überhebliches und gleichgültiges Denken und Fühlen selbstkritisch reflektiert und dadurch überwunden werden. Hier hofft der Gläubige nicht auf Vertröstung, sondern auf einen einfühlsamen und tröstenden Felsen – auf Gottes Wirken, der selbst in unerträglicher Ohnmacht mit dem Geist seiner schöpferischen Kraft mächtig ist. Damit Menschen wieder neu- und froh werden. Und zu lebendigen Felsen, die gewürdigt sind, und sich durch den Geist der Liebe und Vernunft zugleich mutig und demütig, stark und weise bewegen können.
Keiner verliert seine Freiheit in Verantwortung vor Gott. Alle sollen in allen Stürmen ein Leben in Würde, Frieden und Sicherheit führen können. Denn „Gott ist mein Fels, meine Hilfe und mein Schutz, dass ich nicht fallen werde“. (Psalm 62,7)
Burkhard Budde
Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 9.4.2022 in der Kolumne „Moment mal“