Moment mal

Feindesliebe

Von Burkhard Budde

Eine Rose spricht

Aus Feinden Partner oder sogar Freunde machen?

Kompass Feindesliebe

Was bedeutet für Sie „Freundesliebe“? „Viel“, antwortet eine Person, „ich mag meinen Freund, weil er gut zu mir ist.“ Ihr Freund sei freundlich und höflich, anständig und taktvoll. Mit einem feindseligen, groben, rücksichtlosen und geschmacklosen Menschen könne sie nicht befreundet sein. Ihre Freundschaft lebe vor allem vom gegenseitigen Vertrauen und von Ehrlichkeit. Beide könnten sich in Notsituationen aufeinander verlassen. Und sie wisse, dass sie von ihrem Freund verteidigt werde, wenn sie hinter ihrem Rücken schlechtgemacht werde.

Und was halten Sie von „Nächstenliebe“? wird die Person weiter gefragt. Sie überlegt einen Augenblick. Dann sagt sie: „Wenn diese Liebe nicht nur im Schaufenster steht, sondern auch gelebt wird – viel“. „Und was verstehen Sie unter Nächstenliebe?“ Wieder folgt eine Denkpause; dann ihre Antwort: „Wenn ich einem Menschen ohne Vorurteile begegne und ihn so behandle, wie ich selbst in einer solchen Situation behandelt werden möchte.“ Und sie erzählt noch, dass Nächstenliebe für sie nicht Abhängigkeit, sondern Hilfe zur Selbsthilfe bedeute.

Der Fragesteller nickt; dann eine überraschende Frage: Ist „Feindesliebe“ für Sie ein Thema? Jetzt reagiert der Gefragte spontan: „Einen Wolf im Schafsfell, der sich tarnt, um mich über den Tisch zu ziehen; einen Neidhammel, der mir Steine in den Weg legt; einen Fiesling, der mich bloßstellt; einen Moralisten, der nur an sich denkt – solche Figuren soll ich lieben?!“

Der Fragesteller erläutert: Es gehe um Feindesliebe, wie Jesus sie in der Bergpredigt fordert. Und die Jesus u.a. damit begründet, dass der „Vater im Himmel“ seine Sonne über allen Menschen aufgehen lässt.

Die Person beendet das Gespräch, weil es ihr „zu fromm“ geworden ist. Doch später denkt sie über die Forderung Jesu nach: Sind seine Worte über die Feindesliebe nicht doch realistisch, weil sie Feindschaft voraussetzen und sie nicht verharmlosen; zumutbar, weil sie keinen zur Selbstaufgabe oder zur Sympathie mit dem Feind auffordern; kritisch, weil sie Feindschaft verurteilen, dem Feind aber seine von Gott geschenkte Würde lassen; ehrlich, weil die Suche nach einem schöpferischen Neuanfang ohne Gleiches mit Gleichem zu vergelten ein Wagnis bleibt, nicht im Alleingang oder mit Zwang gelingen kann und der Teufel im Detail steckt?

Vielleicht sollte der erste Schritt gewagt werden, indem man seinen Groll und seine Verletzungen loslässt, für den Feind betet und ein vernünftiges und differenziertes Gespräch sucht. Wohl wissend, dass kein Mensch einfach zum Friedensengel wird. Aber jeder seine gehässige Feindschaft, die ihn selbst vergiftet, überwinden kann, wenn er es denn will. Und dass mit Hilfe der Feindesliebe als Kompass aus Feinden Gegner, Partner, vielleicht sogar Freunde werden können.

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe

in der Kolumne „Moment mal“ am 1.5.2021

sowie im Wolfenbütteler Schaufenster

in der Kolumne „Auf ein Wort“ am 2.5.2021