Auf ein Wort
Empörung reicht nicht
Von Burkhard Budde

Auf ein Wort
Empörung reicht nicht
Viele sehnen sich nach Harmonie. Doch eine „konfliktfreie Welt“ wäre die Vorstufe zur Hölle: In einer Willkür- und Gewaltherrschaft gibt es zwar offiziell keine Konflikte; dafür aber die brutale Unterdrückung Andersdenkender. Selbst wenn ein Diktator ein demokratisches Kostüm trägt und Scheinwahlen durchgeführt werden, existieren keine individuelle Würdegarantie, keine Grund- und Menschenrechte sowie keine echte Gewaltenteilung mit unabhängigen Gerichten und freien Medien.
Aber es „menschelt“ auch in der freiheitlichen Demokratie, die dem Grundgesetz als Norm aller Normen verpflichtet ist, und in der Konflikte – Macht-und Interessenkämpfe, Verteilungs- und Beziehungskämpfe, vor allem Wahrnehmungs- und Deutungskämpfe – öffentlich, friedlich und fair nach Spielregeln und anerkannten Verfahren ausgetragen werden sollen:
Im Eifer des Gefechtes zeigen manche Akteure und Beobachter spontan ihre Empörung, um mit diesem Ventil ihrem Ärger oder ihren Befürchtungen Luft zu machen. Für andere ist die „Empörung“ ein taktisches Manöver, um von eigenen Fehlern oder Versäumnissen abzulenken. Wieder andere gießen gerne Öl ins Feuer der Gefühle der Empörten, erzeugen dadurch einen Flächenbrand, waschen jedoch anschließend ihre Hände in Unschuld und erklären sich als Feuerwehr und Retter der Demokratie.
Manche Riesen kriechen aus ihren Höhlen und schwingen ihre weltfremden Moralkeulen, obwohl sie nur als Zwerge wahrgenommen und nicht gehört werden. Manche Zwerge wiederum erheben ihre Zeigefinger, meinen dass sie Riesen seien, sind entrüstet und vergessen, an ihre eigene Nase zu fassen. Stets stellen sich Mitläufer oder Hinterherläufer ein, die die Schau(-fenster)kämpfe nicht durchschauen (wollen), dass es nämlich häufig nicht um Sachkompetenz, sondern nur um den Schein von Kompetenz geht. Und dass Taktik und Strategie keine inhaltlichen Auseinandersetzungen und einen zivilisierten Umgang ersetzen, der Person und „Sache“ unterscheiden kann. Denn hat nicht auch der politische Gegner eine unantastbare Würde, die es zu achten und zu verteidigen gilt?
Die Demokratie als Form staatlicher Herrschaft und gesellschaftlicher Integration braucht Demokraten, die im Wettbewerb und konstruktiven Streit um begründetes Vertrauen der Bürger werben und durch freie und geheime Wahlen mit legitimierter Macht auf Zeit ausgestattet sind, dem Gemeinwohl zu dienen. Gewaltfreie Demonstrationen können Weckrufe und Ventile für eine Empörung sein, aber kein Ersatz für demokratische Institutionen wie einem Parlament. Denn wo sonst haben leise oder verstummte Stimmen eine Chance politisch gehört zu werden?
Wer auf der sicheren Bühne sitzt oder am Seitenrand des Spielfeldes steht, sollte nicht vergessen: Beim besonderen Spiel der Demokratie sollte nicht die Demokratie selbst aus dem Blickfeld geraten: Verlierer im fairen Kampf um Mehrheiten müssen gewinnen und Gewinner müssen verlieren können. Kein Spieler ist gleichzeitig Schiedsrichter des Spiels. Und das eigentliche Spielziel aller demokratischen Kräfte sollten Lösungen in der Sache, der wechselseitige Vorteil und Nutzen aller sein – die begehbare und stabile Brücke, die zum allgemeinen Wohl, zur verantwortlichen Freiheit und zum persönlichen Glück führt.
Burkhard Budde