Auf ein Wort

Suche gute Tugend: Ehrlichkeit

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Suche gute Tugend: Ehrlichkeit 

Ist die Tugend Ehrlichkeit wirklich alltagstauglich und lebensdienlich? Gefordert wird immer wieder eine „ehrliche Debatte“ in der Politik, aber auch „mehr Ehrlichkeit“ in den Beziehungen. In der Tat brauchen sowohl eine liberale Demokratie als auch eine gute Beziehung Ehrlichkeit wie die Luft zum Atmen, wenn Vertrauen und Zutrauen wachsen sowie Probleme nicht verleugnet oder verdrängt werden sollen. Und keiner in ein Kartenhaus der Regelungsillusionen und Selbsttäuschungen oder der Moralromantik und der Geheimniskrämerei flüchten will.

Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit stehen am Anfang eines begründeten Vertrauensverhältnisses – nicht Lug und Trug oder verlogene Macht- und Intrigenspiele. Transparenz zum Beispiel entlarvt den Mächtigen, der über Leichen geht und andere Menschen instrumentalisiert bzw. zu zerstören beabsichtigt oder den Heiratsschwindler, der Liebe vortäuscht, um sein eigenes Süppchen kochen zu können. Ohne ein faires Kartenspiel mit verbindlichen Regeln verführt ein Meister der Fälschung, der mit gezinkten Karten spielt, den Leichtgläubigen, den er zugleich ausnutzt und verspottet. Und wenn ein Scheinheiliger sich hinter der Maske der Frömmigkeit versteckt, muss er noch lange nicht fromm sein, sondern kann – wenn er nicht durchschaut wird – sein manipulatives Netz von Halbwahrheiten und hohler Scheinliebe erfolgreich auswerfen, in dem Opfer hinters Licht geführt werden und die Hölle erleben können.

Ehrlichkeit hat jedoch eine Schwester, die Lüge, die über viele Gesichter und kommunikative Leistungen verfügt. Manche ächten und verachten sie – zu Recht, wenn sie Böses im Schilde führt und absichtlich lügt, dass sich die Balken biegen; wenn sie gierig ungezügelt trickst, täuscht und schummelt, um den eigenen Profit und Erfolg zu maximieren; wenn sie den Erfolg eines Mitmenschen beneidet und mit Falschgeld quittiert, indem sie dennoch lobt und applaudiert; wenn sie falsche Behauptungen wider besseren Wissens hinter einer freundlichen Maske verbirgt und kritische Beobachter keinen Widerspruch anmelden, weil sie sich sonst um sachliche Aufklärung, die anstrengend ist, kümmern müssten;

zu Unrecht jedoch, wenn die Lüge – als Schwester der Ehrlichkeit – aus Liebe zu einem Mitmenschen die „nackte Wahrheit“, die wohl keiner immer wirklich kennt, aus humanen Gründen verschweigt oder die konkrete Situation „nur“ umschreibt, weil sie z.B. einem Kleinkind den Glauben an den Weihnachtsmann nicht einfach nehmen will; weil der schwerstkranke Mensch eine Resthoffnung behalten soll; weil ein Mitmensch nicht einfach durch Wahrheitsfanatismus das Gesicht verlieren soll; weil eine Beichte ohne persönliche Verantwortungsübernahme häufig eine Beziehung zerstört; weil naive Offenheit um jeden Preis alles und alle vergiften kann und niemandem hilft, sondern vieles verschlimmert.

Die Schwestern Ehrlichkeit und Lüge wollen weder Wahrheitsfanatikerinnen ohne Empathie noch Machtfrauen ohne Fairplay sein. Sie wollen auch selbst nicht belogen werden. Sie wissen, dass sie nur im aktuell Konkreten das Richtige, ihre Verantwortung entdecken können. Dafür müssen sie jedoch ohne Schauspielerei und Selbstgerechtigkeit miteinander sprechen. Am Ende sind sie kluge Lebenskünstler, nicht die Dummen, wenn sie einen verantwortbaren Kompromiss zwischen notwendigem Schein und realem Sein gefunden haben, der dem gemeinsamen Leben auf der ständigen und ehrlichen Suche nach Wahrheit dient.

Burkhard Budde