Auf ein Wort
Dummheit
Von Burkhard Budde
Auf ein Wort
Dummheit und Stolz
Kennen Sie mehr einfältige und unbewegliche oder mehr kluge und anpassungsfähige Köpfe? Begegnen Ihnen häufiger die törichte Dummheit, die „Stultitia“, und seltener die widerstandsfähige Klugheit, die „Prudentia“?
Die Stultitia sägt zum Beispiel an einem Ast, auf dem sie sitzt – mal gemächlich, mal emsig; mal stur, mal frisch, fromm, fröhlich, frei. Sie schaut weder nach rechts oder links, weder in die Tiefe noch in die Höhe. Weder dampfende Bäume im Nebel noch Windstille, noch Windböen und Stürme können Stultitia aus der Ruhe bringen. Sie bleibt bei ihrer Meinung.
Auch die Frage der Prudentia, die sieht, dass sich Stultitia auf Dauer schadet, erschreckt sie nicht: „Warum denkst Du nicht an die Folgen deines Tuns?“ Doch Stultitia winkt ab, weil sie für Sprüche keine Zeit habe. Und heimlich denkt sie selbstverliebt: „Was bin ich doch für ein kluges Köpfchen!“ Und Prudentia kann weder mit Engelszungen noch mit argumentativem Klartext, geschweige denn mit dem Angebot eines offenen Gespräches etwas bewirken. Stultitia, frech und glücklich wie Oskar, ahnungslos und ignorant wie Bohnenstroh, bleibt grenzenlos dickköpfig und zugeknöpft. Und sägt und sägt. Wird Stultitia nur durch Erfahrung klug?
Eine Prudentia sitzt auf einem hohen Baum und schaut von oben herab. Sie sieht die fleißigen Ameisen, die Hügel bauen, den Boden durchlüften, Abfälle verwerten, Schädlinge bekämpfen und zur Vielfalt des Waldes beitragen. Sie beobachtet scheue Rehe, die sich leise bewegen und ihre Duftnoten verbreiten und genüsslich Knospen und Triebe junger Bäume anknabbern. Bei selbstbewussten Füchsen fühlt sich Prudentia bedroht, da die sich tarnen, aber auch strategisch handeln und sich auf das Wesentliche konzentrieren können, wachsam und wehrhaft sind. Prudentia, die in ihrer Unnahbarkeit meint, etwas Besseres zu sein, weiß ganz genau, wie Ameisen, Rehe und Füchse zu leben haben.
Aber auch das gehört zum Wald des Lebens dazu: Die kluge Prudentia kann die Maske der dummen Stultitia aufsetzen – und umgekehrt. Doch Dummheit („nichts besser verstehen und mehr wissen zu wollen“) und Stolz („ genug verstanden zu haben und zu wissen“) wachsen auf einem Holz, das morsch geworden ist – durch Eitelkeit und Wichtigtuerei, durch gespieltes Wissen und neidgetränkte Ichbezogenheit, durch feste Vorurteile und Angst vor Bedeutungsverlust.
Weder das dumme Ich noch das neunmalkluge Ich lassen sich von Förstern religiöser, politischer, historischer oder kultureller Bildung überzeugen. Der Änderungswille, der Wille zum (selbst-)kritischen und aufgeklärten Denken, zum Dazulernen und Neulernen, zum Kompromiss und zum Aushalten unterschiedlicher Meinungen, muss schon von Stultitia und Prudentia selbst ausgehen.
Damit Sophia, die Weisheit, folgenreiche Zusammenhänge zu erkennen und auch auf sein Bauchgefühl zu hören, in beiden eine Chance erhält und Herzens- und Menschenbildung ermöglicht. Und welche Ameise, welches Reh und welcher Fuchs schaufelte dann noch anderen eine Grube, in die man selbst hineinfallen kann?! Und läuft hartherzig mit dem Kopf gegen eine Wand, an der man sich nur Blessuren einholt?!
Burkhard Budde