Moment mal

Wahre Ritter

Von Burkhard Budde

St. Martin

St. Martin teilt seinen Mantel; Ausschnitt aus dem Spenger Altar (15. Jahrhundert)

Ist  ein Formular wichtiger als Zuwendung, das selbstverliebte Ego wichtiger als die eigene und fremde Gesundheit?

An eine Gesellschaft mit einem menschlichen Gesicht erinnert der Heilige Martin, der im 4. Jahrhundert seinen Mantel mit einem frierenden Bettler teilte. Und damit ein Zeichen setzte: Die konkrete sowie spontane Tat der Nächstenliebe ist im Zweifel wichtiger als  Bürokratie oder ein Ego-Trip auf Kosten anderer.

Martin war offensichtlich kein Raubritter mit Scheuklappen, der nur an neue  Mäntel für sich denkt. Auch kein Scheinritter mit Heilgenschein, der gerne fremde Mäntel verteilt und sich selbst als heilig wahrnimmt, aber scheinheilig handelt. Martin hat auch nicht seinen ganzen Mantel an den Bettler abgegeben oder ihm sein Pferd einfach zur Verfügung gestellt.

Wem Martin als Vorbild wichtig geworden ist, muss nicht schwärmerisch werden. Der kann vielmehr versuchen, menschlich zu bleiben und zugleich vernünftig zu handeln, das menschlich Richtige im sachlich Möglichen zu tun. Denn auch „Bettler“ können ihre Bedürftigkeit vortäuschen oder das Geschäft mit dem Mitleid betreiben.  Und jeder „Ritter“ kann zum Bettler werden, weil kein Mensch unverwundbar ist. Und alle stets die Unterstützung anderer brauchen.

Dann ist nicht eine Abhängigkeit vom Tropf der Hilfe wichtig, sondern aktive Hilfen zur Selbsthilfe sowie strukturelle Hilfen zur Selbstständigkeit können die Not wenden. Oder Solidarität ist das Gebot der Stunde, wenn einer sich selbst nicht mehr helfen kann.

Jeder kann dem Nächsten zum Ritter werden, nicht als exotische Lichtgestalt oder von oben herab, auf hohem Ross sitzend: Menschen, die ihre Lebensmäntel, ihre Lebenszeit und Lebensmöglichkeiten, mit anderen Menschen teilen. Zum Beispiel Ärzte, die trotz Zeit- und Arbeitsdruck nicht nur am kranken Organ des Patienten interessiert sind, sondern – wenn eben möglich – auch am ganzen Menschen. Lehrer, die Schüler nicht demotivieren, sondern fördern.  Politiker, die nicht einfach auf Stimmenfang sind, sondern vor allem dem Gemeinwohl dienen.

Jeder Mensch braucht einen Nächsten, etwas Liebe. Martin soll später einen Traum erlebt haben, in dem er die Stimme Christi hörte: „Was du dem geringsten meiner Brüder tust, hast du mir getan.“ Ob in der Nächstenliebe Gottesliebe aufleuchtet, die sowohl Rittern als auch Bettlern eine unantastbare Würde schenkt – und einen menschlichen und zugleich vernünftigen Ritterschlag im Alltag möglich macht!?!

Burkhard Budde

Der Artikel ist auch am 7.11.2020 im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe veröffentlicht worden.