Moment mal

Der Neid des Beneideten

Von Burkhard Budde

Nicht immer muss es „Futterneid“ geben.

Wer kritisch ist, muss nicht neidisch sein. Aber der Neidische lässt häufig Selbstkritik vermissen. Geschickt versteckt sich der allgegenwärtige Neid hinter verschiedenen Gesichtern.

Fischneid zum Beispiel gibt es nicht nur unter Anglern. Ein kleiner Fisch schielt ständig zum großen Fisch. Nervös fragt er sich: Warum ist der andere Fisch größer und schöner? Warum kann er besser und schneller schwimmen? Warum ist er erfolgreicher und angesehener? Warum hat er mehr und andere Nahrung?

Der kleine Fisch trauert über die Fresserfolge des großen Fisches. Und freut sich heimlich über dessen Misserfolge. Selbstkritik? Fehlanzeige! In dem kleinen Fisch wird vielmehr die Stimme eines Flüsterers immer mächtiger, die Ängste schürt: Zu kurz zu kommen, vergessen zu werden und am Ende mit noch weniger Futter leben zu müssen. Er sucht nach einem Haar des großen Fisches, lässt kein gutes Haar an ihm und zieht viele boshafte Bemerkungen an den Haaren herbei. Er übersieht, dass das gefundene Haar von ihm selbst stammt – durch sein Kopfschütteln und Naserümpfen, das seine Minderwertigkeitsgefühle überspielen sollen.

Der große Fisch verspürt den Wunsch des kleinen Fisches, ihn am liebsten in gefährliche Tiefen zu verbannen. Immer angepasster schwimmt er mit dem Strom, um nur nicht aufzufallen und Neidgefühle zu erzeugen. Manchmal stellt er sich sogar tot. Schließlich wird er selbst zum kleinen Fisch, vergleicht, was nicht zu vergleichen ist, verallgemeinert und versucht den anderen in seiner Entwicklung einzuschränken.

Der Neid mit seinen destruktiven Vergleichen vergiftet das Wasser des Flusses, der langsam zum trüben Rinnsal wird. Dabei würde ein faires und konstruktives Vergleichen dem Fluss Dynamik oder ihm sogar ein neues Flussbett geben können!

Nicht alle glänzenden Würmer, die Neid wecken, schmecken. Sie können auch gefährliche Köder sein. Wer jedoch im Einklang mit sich selbst lebt, bleibt realistisch, weiß um tückische Strömungen, der konzentriert sich auf seine eigenen Stärken und macht sich nicht abhängig von den Urteilen anderer. Der gönnt anderen ihren Erfolg, den sie sich häufig durch große Anstrengungen verdient haben. Und kann dem vom Neid Zerfressenen seine Entwicklungshilfe anbieten – durch Wertschätzung seiner Person und durch Widerspruch bei den Neidobjekten. Damit große und kleine Fische im Fluss des Lebens die Quelle wahren Glückes finden: die göttliche Liebe ohne Bedingungen und ohne Ausnahmen.

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 20.2.2021 sowie im Wolfenbütteler Schaufenster am 21.2.2021.