Moment mal

Lernorte der Demokratie IV

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Lernorte der Demokratie IV 

Die Bedeutung der Schule 

Auch seine Schulzeit, so ein Mann aus einer Kleinstadt, war für ihn ein Lernort der Demokratie, nicht nur seine Familie. Er erinnert sich: Im August 1970 wurde er zum Schülersprecher gewählt, obwohl es noch nie einen so jungen Schülersprecher auf der Schule – er war gerade einmal 17 Jahre alt – gegeben hatte. Aber sowohl sein älterer Bruder als auch sein jüngerer Bruder – alle ebenfalls Schüler des Gymnasiums – und Klassenkameraden hatten ihn im schulinternen „Wahlkampf“ fleißig unterstützt. Jede Klasse hatte er aufgesucht und zu Beginn des Unterrichts für etwa zehn Minuten sich selbst, sein Team und sein „Wahlprogramm“ vorgestellt: Geplant waren u.a. kulturelle Vorhaben wie Filmvorführungen, ein Vorlesewettbewerb, ein Musikquiz, Diskotheken „LSD“ („Lord Stone Diskothek“) sowie sportliche Angebote wie ein Tischtennis-, ein Fußball- und ein Handballturnier, aber auch die Besichtigung eines Coca-Cola- Werkes in der Stadt, die Herausgabe einer „SMV-Information“ sowie das Projekt „Einführung in Aufbau und Arbeitsweise eines Computers“, da ein Mitschüler – der Vorgänger im Amt des Schülersprechers – sich mit „Datapoint 2200“ auskannte, dem ersten modernen Personal Computer ähnlichen Computer und bereit war, sein „Pionierwissen“ seinen Mitschülern weiterzugeben. 

Vor allem jedoch hatte der jüngste Schülersprecherkandidat seine Mitschüler davon überzeugt, wie wichtig es war, sich nicht nur mit „Geselligkeit“ und „Kultur“ zu beschäftigen, sondern auch mit den Inhalten des Unterrichts, über Inhalte partnerschaftlich mit den Lehrern zu diskutieren und das Unterrichtsleben selbst kritisch mitzugestalten. 

Nach der Wahl zum Schülersprecher folgten den Ankündigungen Taten; es wurden zum ersten Mal in der Schulgeschichte „Schüler-Fachschaften“ eingerichtet. In jeder Klasse wurden für die „geisteswissenschaftlichen“ Fächer ein Schüler und für die „naturwissenschaftlichen“ Fächer zwei Schüler gewählt, die dann jeweils eine „Schüler-Fachschaft“ bildeten, um dort über Inhalte und die Vermittlung der Inhalte aus der Sicht der Schülerschaft zu sprechen und eine gemeinsame Position zu erarbeiten. Die Schüler-Fachschaften wiederum wählten so genannte Fachschaftssprecher für die Lehrer-Fachkonferenz, um sich dort „einzumischen“ und die Interessen der Schüler zu vertreten – so wenigstens der Plan. Es gab konkrete Hilfestellungen seitens der Lehrerschaft, aber auch viele Steine auf dem Weg zu einer echten Mitwirkung der Schüler im Blick auf das Unterrichtsgeschehen, dem Herzstück des Schullebens. Immerhin hatten viele Schülervertreter bei ihren ersten demokratischen und geordneten Geh- und Laufversuche eine Menge gelernt. 

Aber auch mit anderen Themen beschäftigten wir uns in der Schülermitverwaltung (SMV): Raumnot stand z.B. auf der Tagesordnung, aber auch das Thema „Koedukation“. Wir waren auf einer reinen Jungenschule – für viele Schüler ein „Dorn im Auge“ des Wunsches nach einem gleichberechtigten und gemeinsamen Lernen von Jungen und Mädchen. Und wir Schülervertreter engagierten uns für ein faires Leistungsprinzip sowie für gerechte Bildungschancen für alle, kämpften für „Lernmittelfreiheit“, für die unentgeltliche Bereitstellung von Schulbüchern, um finanzschwachen Familien und Alleinerziehenden die Möglichkeit zu geben, ihre Kinder auf eine weiterführende Schule zu schicken. 

Wir waren auf dem Weg, Schule zu „demokratisieren“, suchten dabei Verbündete in der Lehrerschaft, aber auch in den Familien und im Stadtparlament. Nicht alles hat geklappt, aber wir haben selbst demokratisches Verhalten kennengelernt und sind demokratische gereift. Und vielleicht ist es sogar bei aller Unvollkommenheit und Kritikwürdigkeit gelungen, etwas Schul- und Demokratiegeschichte mit Leidenschaft und Freude zu schreiben, von der auch die folgenden Generationen einen „Mehrwert“ haben.

(Fortsetzung folgt) 

Burkhard Budde