Moment mal
Das Ich tickt…
Von Burkhard Budde

Auf ein Wort
Wie das Ich tickt
Wie tickt das Ich des anderen?
Mal lieb und nett. Dann böse und unhöflich. Mal vorsichtig und besonnen. Dann überängstlich und unüberlegt. Mal aufrichtig und ehrlich. Dann täuschend und verlogen. Mal verständnisvoll und einfühlsam. Dann eiskalt und abweisend. Mal still und leise. Dann laut und aufbrausend.
Die komplexe und komplizierte Wirklichkeit, die mehr ist als die Wahrnehmung, Inszenierung und Deutung, kennt zudem Türen zum Glück, die sich unerwartet und unverdient öffnen. Leider auch gruselige und verstörende Überraschungen: Das Gute, dass das Ich will, tut es nicht; das genaue Gegenteil jedoch, dass es nicht will, bewirkt es.
Und wie tickt das eigene Ich?
Es kann dem Alltag enthoben und vom Mitmenschen entrückt sein. Von sich selbst geblendet und verzaubert kann es beim Faustkampf mit einem Gespenst dieses nicht erkennen und entzaubern.
Als normierendes Ich weiß es, wie alle anderen zu ticken haben. Als normiertes Ich tanzt es nach der Pfeife anderer. Als normenloses Ich wird es hin- und hergetrieben und aus seinen geistigen und seelischen Heimaten vertrieben.
Das Ich, das stets herausgefordert ist, wohnt in vielen Räumen. Häufig wechselt es den Raum, schlüpft in eine andere Rolle. Manchmal ist das Ich auch gespalten. Dann herrschen seine Teile – gleichgültig nebeneinander, leidenschaftlich gegeneinander oder konstruktiv miteinander, immer im Fluss.
Manchmal fragt sich das eigene Ich, das nicht wahr- und ernstgenommen wird: Werde ich als namenloses Ich an meinem Ende in der Bedeutungslosigkeit verschwinden? Oder im Nichts des Vergessens, als hätte es mich nie gegeben?
Das eigene Ich muss letztlich selbst entscheiden, was es will. Aber (fast) immer hat es die Wahl.
Zwischen Treibsand und Fundament: Will es sich beliebig oder willkürlich bewegen? Oder Grund unter die Füße bekommen, sehendes und begründetes Selbst- und Fremdvertrauen sowie Gottvertrauen wagen?
Zwischen Navi und Kompass: Will es sich der Mehrheits- oder Minderheitenmeinung ängstlich, bequem oder einfach unkritisch anpassen? Oder den Kompass der Freiheit und Verantwortung in die Hand nehmen, um sich eine eigene und unabhängige Meinung bilden zu können?
Zwischen Rinnsal und Quelle: Will es sich für dumm verkaufen lassen und mit alten Kamellen, festen Vorurteilen und neidgefüllten Gehässigkeiten abspeisen lassen? Oder aus der Quelle der Weisheit schöpfen, um abwägen, Zusammenhänge, Neben- und Folgewirkungen reflektieren zu können?
Zwischen Holzhammer und Steuer: Will es sich für pauschale Schwarz-Weiß-Lösungen und brutale Hauruckmethoden entscheiden, die nur die eigene Freiheit zulasten der Freiheit anderer sieht? Oder für das Steuer mündiger und kritischer Vernunft, um in das Fahrwasser des Ausgleichs der unterschiedlichen Interessen sowie fairer Lösungen zu gelangen?
Zu sich selbst findet das eigene Ich erst im Du. Und beide können Glück und Zufriedenheit im ökologischen, im ökonomischen, im sozialen und zivilisierten Wir erfahren.
Burkhard Budde
Veröffentlicht am 18.6.2023 im Wolfenbütteler Schaufenster in der Region Wolfenbüttel in der Kolumne „Auf ein Wort“