Auf ein Wort
Das Engelsschiff
Von Burkhard Budde
Auf ein Wort
Unterwegs mit dem Engelsschiff
Das Engelsschiff war auf dem Weg zur Insel der Glückseligkeit. Die unterschiedlichen Engel auf dem Schiff, alle originell und doch nicht selten in ihrem Verhalten verwechselbar, hatten verschiedene Fahrscheine, Ausweise und Nachweise, damit alles seine Ordnung hatte.
Es gab prominente Engel, die zugleich beneidet und bewundert wurden, aber auch Alltagsengel, die ihr Bestes gaben oder einfach faul und bequem waren. Innere Stürme der Angst, zu kurz zu kommen, nicht anerkannt zu werden oder gar das Gesicht zu verlieren, mussten alle aushalten. Viele sehnten sich nach einer fast naiven Windstille der Ruhe und des Glücks; erlebten jedoch auch zerstörerische Orkane, die sowohl abgestumpfte Gleichgültigkeit als auch kluge Weitsicht mit in die Tiefe der Ohnmacht rissen. Und viele Engel fragten mit leisen Engelszungen: Wer kann das Schiff so steuern, dass es manövrierfähig bleibt und nicht untergeht? Und wer kennt die Fahrrinne, Leuchttürme und Bojen, deren Beachtung Erfolg verspricht?
Aber schauen wir uns einzelne Engel genauer an:
Ein führender Engel hatte kein wirkliches Verständnis für Sorgen und Ängste: „Auf Ebbe folgt Flut und nach der Flut Ebbe. Meckert nicht, die ihr an den vollen Tischen mit Delikatessen sitzt. Vertraut mir!“
Ein gefallener Engel, der nichts vom Schiff hielt und nur nach einem Platz auf der Kommandobrücke trachtete, spielte den Retter und Macher mit Heiligenschein: „Ich biete euch Schutz. Eure Sorgen sind auch meine Sorgen. Vertraut mir!“
Ein selbstgefälliger Engel mischte lautes und süßes Gerede mit leisem und bösem Geflüster und erntete nur eisiges Schweigen, ohne es selbst zu merken. Er rief selbstbewusst: „Vertraut mir!“
Ein strahlender Engel mit einer Zunge, die Purzelbäume schlug, hatte Vertrauenssprüche auf den Lippen, die kaum einer mehr hören wollte, da sie ohne Unterlass wiederholt wurden.
Es gab auch geblendete Engel, die nicht wahrhaben wollten, was sie beobachteten oder nur das sehen und hören wollten, was sie bestätigte oder was sie schon immer gewusst hatten. Die nur sich selbst vertrauten.
Und naive Engel, die – voll Neid und Angst getrieben – den Hass auf die eigene Augenbinde mit dem Hass auf Sündenböcke verwechselten und den gefallenen Engeln mit ihren einfachen Parolen unterwürfig frenetisch folgten. Und blind vertrauten.
Das Klima auf dem Schiff wurde immer mehr vergiftet; das Essen, das eigentlich als Kloß im Halse hätte stecken bleiben müssen, mit großer Lust einfach heruntergeschluckt.
Ein schweigender Engel, der sich als Grenzgänger zwischen Himmel und Erde verstand und auf der Suche nach der Wahrheit war, bat den Himmel, der das Schiff stets begleitete, auch wenn der Himmel von immer weniger Engeln beachtet und geachtet wurde, um Einsicht und Weitsicht.
Erst passierte nichts; dann öffnete sich der Himmel und der Engel hörte in seinem Inneren eine Stimme: „Hab keine Angst. Bleibe zuversichtlich. Hör auf dein schlagendes Herz, auch wenn dein Kopf keinen Grund mehr findet, jemandem zu vertrauen. Aber damit dein Herz sich nicht überschlägt, werde nicht kopflos, sondern suche mit deinem Kopf Gründe, wenn du nach dem richtigen Kurs fragst und einem Engel vertraust – zutraust, das Schiff erfolgreich und verantwortungsvoll zu lenken.“ Der Engel nickte. Doch konnte er der Stimme des Himmels vertrauen?
Das Engelsschiff jedenfalls ist immer noch auf dem Weg zur Insel der Glückseligkeit.
Burkhard Budde