Moment mal

Brief als Sprungbrett

Von Burkhard Budde

Moment mal

Brief als neues Sprungbrett 

Ist er aus der Zeit gefallen? Wird der Brief immer mehr zu einem Fremdkörper im Wandel der Zeiten – angesichts ihrer Schnelligkeit, Gleichzeitigkeit und Schnelllebigkeit? „Ich schreibe nur noch ganz selten einen Brief; lieber eine E-Mail, eine SMS oder eine WhatsApp. Das geht schneller, ist bequemer, günstiger. Und ich kann mehrere Freunde gleichzeitig erreichen“, sagt ein Zeitgefährte.

Beim Thema „Brief“ jedoch gilt es, die unterschiedlichen Formen zu unterscheiden. Es gibt zum Beispiel Drohbriefe, die bei den Adressaten eine Gänsehaupt erzeugen sollen; anonyme Briefe, bei denen die Verfasser eine offene Auseinandersetzung vermeiden oder einfach beleidigen wollen; Werbebriefe mal mit Infos, mal mit Versprechen, bei denen Leser ins Leere greifen; Behördenbriefe in Amtsdeutsch oder mit Genderzeichen, bei denen viele ihre Augen verdrehen; Geschäftsbriefe mit Angeboten, die ebenso erstaunen wie erfreuen können. Und auch mit der Hand geschriebene Liebesbriefe soll es (noch) geben, die die tiefe Sehnsucht nach Nähe, Zärtlichkeit und Intimität atmen.

Persönliche Briefe sind etwas individuell Kostbares und originell Besonderes. Wer einen solchen Brief schreibt, kommt zunächst selbst zur Ruhe und Besinnung, denkt bewusst an den Briefempfänger – vielleicht in Dankbarkeit an eine gemeinsame Vergangenheit, in Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft und in der Freiheit, die Gedanken zu Papier zu bringen, die zum Schreiber selbst und zum Angeschriebenen sprechen können. Beim Lesen des Briefes verschmelzen die Botschaften mit der eigenen Innenwelt und neues Verstehen sowie neue Einsichten können wachsen. Und überhaupt: Was schwer fällt, direkt zu kommunizieren, kann indirekt besser zur Sprache gebracht werden.

Briefe, die Freude und Mut machen, nicht Kummer und Leid vermehren, die zum Nachdenken einladen, nicht zum Nachplappern vorladen, die Brücken schlagen, nicht die Vernunft zerschlagen, die Lösungen suchen, nicht selbstgerecht Öl ins Feuer gießen, die zu  trösten versuchen, nicht vertrösten, sind sinnstiftende Sprungbretter einer neuen oder erneuerten Beziehung.

Solche Briefe erinnern an einen Brief des Apostels Paulus, der seinen Freunden schrieb: „Unverkennbar seid ihr ein Brief Christi, …, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes.“ (2.Kor.3,3) Weil Gott selbst auf krummen Linien gerade schreiben kann, können sich lebendige Briefe Christi – bei aller Unvollkommenheit, Vorläufigkeit, Fehlbarkeit und Deutbarkeit – im Geist liebender Vernunft für ein freies Leben in Würde und Verantwortung einsetzen.

Burkhard Budde

Veröffentlicht auch im Wolfenbütteler Schaufenster in der Region Wolfenbüttel am 25. September 2022 in der Kolumne „Auf ein Wort“ sowie im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 27. September 2022 in der Kolumne „Moment mal“