Moment mal
Eine Blaue Blume
Von Burkhard Budde
Auf ein Wort
Eine blaue Blume
Kann eine besondere Blume der Schlüssel zu einer romantischen Liebe sein? Sehnen sich alle Menschen nach einer Blume, die verzaubert, auch wenn sie ihren Zauber nicht wahrhaben wollen oder kennen?
Friedrich von Hardenberg (1772 bis 1801), bedeutendster Vertreter der Frühromantik, mit Dichternamen Novalis, erzählt in seinem unvollendeten Roman „Heinrich von Ofterdingen“ von einem Traum, in dem es um eine „hohe lichtblaue Blume“ geht. Der Titelheld des Romans sah im Traum unzählige Blumen; an der Quelle sah er nichts als die blaue Blume, die er lange und mit „unnennbarer Zärtlichkeit“ betrachtete. Als er sich ihr nähern wollte, so heißt es in der Erzählung aus dem phantastischen Mittelalter mit vielfältigem Panorama, fing die Blume auf einmal an, sich zu bewegen und zu verändern. Die glänzenden Blätter schmiegten sich an den wachsenden Stängel. Und als die Blütenblätter einen blauen ausgebreiteten Kragen zeigten, sah er in ihm ein schwebendes zartes Gesicht. In diesem Augenblick wurde von Ofterdingen von seiner Mutter geweckt und umarmt und von seinem Vater als „Langschäfer“ gescholten.
Heute spekulieren manche Zeitgefährten: Welche Blume war gemeint? Andere besingen, malen, verehren oder verklären die geheimnisvolle Blume. Vielleicht entstand diese blaue Blume auch als Trostblume im Kopf von Novalis nach dem Tod seiner Verlobten Sophie, die im blauen Gewand verstorben war.
Als literarische Inspiration bei der Suche nach Liebe und Erkenntnis ging mir folgender Traum durch Kopf und Herz, der auch die entzauberte Welt der Moderne romantisieren kann:
Ein Träumender liegt in einem bunten Garten mit vielen Blumen. In seinem Traum wird er von den schönen Blättern einer gelben Blume berührt, die Zuversicht ausstrahlt. Je mehr sie ihn streichelt und beglückt, desto geborgener und sicherer fühlt er sich. Da sieht er eine rote Blume, die plötzlich neben ihm erwacht, und in ihm tiefe und bislang unbekannte Gefühle weckt. Immer mehr gerät er in ihren Bann. Ihre faszinierenden Farben verzaubern ihn, ihr süßer Duft betört ihn und ihre anmutenden Bewegungen ziehen ihn magisch an. Ein Schauer läuft ihm über den Rücken. Es kribbelt wild. Er fühlt sich wie elektrisiert. Als sie ihm ganz nahe ist, sieht er nur noch ihre Schönheit. Als sie ihn mit ihren großen Blättern umarmt, wird er geweckt.
Eine vertrocknete Blume sagt: „Lass dir dein Herz nicht einfach stehlen. Vergiss den Baum der Erkenntnis und die Dornen der roten Blume nicht.“ Und eine blaue Blume ergänzt: „Der Weg zum Glück, zu sich selbst und zum anderen führt über die innere und äußere Freiheit.“
Denn die Quelle aller Sehnsucht, das wusste auch Novalis, ist keine naive Träumerei, die zum Alptraum werden kann, sondern das liebende Herz, das nicht kopf- und geistlos wird, wenn die Augen geöffnet bleiben und weitersehen können. Und wer zu sich selbst gefunden hat, findet auch seine ganz eigene blaue Blume im Antlitz seines Nächsten, sein neues Glück.
Burkhard Budde
Veröffentlicht in der Kolumne „Auf ein Wort“ im Wolfenbütteler Schaufenster am 2.7.2023 in der Region Wolfenbüttel