Moment mal

Bitte um einen Engel

Von Burkhard Budde 

Ein Engel mit Herz

Ein Grenzgänger zwischen Himmel und Erde spricht…

Eigentlich will er wieder einen Bogen um diesen Ort machen. Doch unerwartet hat er Zeit gewonnen. Und die Neugier weckt sein Interesse. Gibt es an diesem Ort etwas Besonderes, vielleicht eine geistige Atmosphäre, die ihn beflügeln könnte?

Wie dem auch sei: Er sitzt jetzt in der Bank einer leeren Kirche und betrachtet die Altarwand: Ein ungewöhnlich großer Engel ist zu sehen. Der Mann, der viel lieber im Fußballstadion wäre, am Arbeitsplatz lieber Erfolg hätte, in den eigenen vier Wänden und darüber hinaus lieber das Leben kontrolliert in den Griff bekommen würde, lässt für einen Augenblick seine Skepsis und Kritik im Zusammenhang mit diesem Ort beiseite.

Und blickt genauer hin: Könnte es sein, dass der Engel einen gebrochenen Flügel hat, dass der Grenzgänger zwischen Himmel und Erde selbst leidet? Dass sich in seinem Gesicht der Ernst auch seines Lebens widerspiegelt? Dass er ihn ausgerechnet mit geschlossenen Augen anlächelt, um ihm Mut zu machen? Dass die Botschaft des Regenbogens, der sich vor allem wie eine Schärpe auf dem Körper des Engels befindet, etwas mit seinem Leben zu tun hat?

Der Mann liest eine Botschaft am rechten Flügel des Engels: „Gott ist Liebe.“ Und unterhalb der linken Flügelspitze die Aussage: „Fürchtet euch nicht.“ Ist der Besucher der Kirche dem Geheimnis Gottes auf der Spur? Und überhaupt: Braucht ein Mensch einen Engel, der auf Gott als die Urquelle allen Lebens hinweist, und der den Samen göttlichen Lebens weitergibt, damit neues Leben in Würde und Freiheit, Vertrauen und Vernunft, leise Hoffnung auf Auferstehung wachsen kann? Und nicht Hass und Neid, Lüge und Bosheit, Zerstörung und Rache, Teilnahmslosigkeit und Angst sowie Tod das letzte Wort behalten?!

Der Mann, der sonst dem Kult des starken Schauspielers frönt, verspürt eine neue Gewissheit, die er noch nicht kannte. Und faltet die Hände: „Gott sei mir gnädig. Schick mir doch bitte einen Engel. Und vergiss meine Liebsten nicht.“

Und als er diesen Ort verlässt, um sich auf den Weg in die geheimnisvollen Grauzonen seines Lebens zu machen, schickt er noch ein Stoßgebet zum Himmel: „Und möglichst auch viele Schutzengel zu Menschen, die nichts von Engeln wissen wollen.“ Und dann stammelt er noch, fast selbstkritisch: „Oder sich wie kleine Teufel verhalten.“

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Westfalen und Lippe am 6. Februar 2021 und im Wolfenbütteler Schaufenster am 7. Februar 2021.