Moment mal

Jung bleiben?

von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Wann bin ich alt? 

Bin ich jetzt alt? fragt ein 70jähriger. Was kann man ihm antworten? Ist das Alter eine nackte Zahl, ein Termin in seinem Lebenskalender? Oder sein persönliches Gefühl, im Körper eines 50jährigen zu leben, was nichts oder nur wenig mit der Zahl 70 zu tun hat? Aber wieviel Jahre muss er dann auf dem Buckel haben, damit das Etikett „alt“ auf seine Stirn passt? Und spielt es bei der Altersfrage keine Rolle, ob ein Mensch geizig oder verschwenderisch mit seinen Lebensjahren umgegangen ist, die Zeit sinnlos totgeschlagen oder sinnvoll erlebt hat?

Manche Menschen erfahren ihr Alter oder ihr Altern als eine Art Abstellkammer: Sie begeben sich vom pulsierenden Leben freiwillig ins Abseits oder werden von anderen ins Abseits gestellt, weil ihre Leistungen angeblich nicht mehr ausreichen oder ihre Erfahrungen angeblich nicht mehr gebraucht werden. Sie mischen nicht mehr mit oder nur noch, wenn sie gerufen werden, worauf sie allerdings nicht warten sollten.

Für andere ist das Alter nach dem Berufsleben wie eine Art Jungbrunnen: Sie tauchen ein in neue Tiefen und Weiten des Lebens, entdecken faszinierende Dinge des Genusses und des Konsums, von denen sie vorher nicht einmal geträumt hatten. Oder sie können jetzt das tun, was sie ein Leben lang nicht oder nur selten machen konnten. Kein Terminplan und kein Pflichtenkatalog kann sie mehr zwingen, auf ein bewusstes und lustvolles Leben zu verzichten.

Natürlich altert jeder Mensch anders, weil alle Menschen verschieden sind. Der eine kann stur und eiskalt werden; ein anderer gütig und feinfühlig. Der eine wird unruhig, weil er getrieben wird, nichts zu verpassen und nicht anerkannt zu werden; der andere ruht immer mehr in sich, arbeitet an sich, wird gelassen und besonnen, hilfsbereit. Und immer können (Alters-) Krankheiten überraschende Spielverderber sein.

Wirklich alt wird ein Mensch wohl erst, wenn er die Zugbrücke der Burg seines Lebens hochzieht, um soziale Kontakte zu meiden; wenn er seine Überzeugungen einfach über die Reling seines Lebensbootes wirft, sie nicht mehr argumentativ vertritt, aktualisiert, erneuert oder ggfls. korrigiert; wenn sich seine Verantwortung im Leben und für das Leben wie Zucker im Tee auflöst, obwohl seine Gesundheit mitspielt und er vor allem gestaltungsfähig ist und enkeltaugliche Ideen hat.

Allerdings kann ein Mensch auch sein eigenes Denkmal – sein Lebenswerk – zerstören, wenn er ihn überfordernde Aufgaben nicht loslässt, um das Wunder der Verjüngung durch Reife zu empfangen.

Und dann drängt sich noch eine Realität auf: Am Eingangsportal des Universitätsgebäudes der Lutherstadt Wittenberg befindet sich ein junger Mann mit einer Sanduhr und einem Totenschädel. Die Inschrift verdeutlicht eine bleibende Botschaft: „Hodie mihi, cras tibi“ („Heute mir, morgen dir“). Der Tod interessiert sich nicht für das konkrete Alter, auch nicht für Geburtsurkunde, Geldbeutel, Titel, Reputation, Fachwissen und Kompetenz oder den sozialen Status. Doch im Lebenswissen um Vergänglichkeit, Endlichkeit, Brüchigkeit und Eitelkeit kann jenseits von Altenkult und Jugendwahn ein fruchtbares Miteinander auf Augenhöhe und zum gegenseitigen Nutzen gelingen. Dann wird die Frage nach Jahren – „zu jung“ oder „zu alt“? – von der Frage nach der nachhaltigen Qualität  – „Sinnerfüllung und Gewinn?“ – abgelöst.

 

Burkhard Budde