Moment mal
Die Blüte des Kaktus
Von Burkhard Budde

Ein Kaktus kann auf seine Blüten warten
Ein grüner Kaktus, selbstbewusst und liebenswürdig, kann auf seine Blüten warten. Er ist kein fanatischer Fan, aber auch kein überheblicher Verächter von Weihnachten. In der Adventszeit bereitet er sich auf das Fest der Geburt des göttlichen Kindes vor.
Plötzlich und unerwartet erreicht ihn die Nachricht, dass er sehr krank ist. Gerade noch hat er sich mit viel Liebe zu seinem Beruf engagiert. Und sich auf Weihnachten gefreut. Jetzt wird er gezwungen zu entschleunigen, sozusagen vom Schicksal gebremst, ausgebremst. Seine Nerven liegen blank. Er fühlt sich verletzt und ungerecht behandelt. Gut, dass er Stacheln hat, Widerstandskräfte und Lebensmut, um sich nicht selbst zu verlieren, ins Leere zu stürzen oder sich beleidigt in einen Schmollwinkel zurückzuziehen. Aber auch um lernen zu können, menschliche Nähe und räumliche Distanz zu anderen neu auszutarieren.
Was erwartet der Kaktus jetzt (noch) – außer eine gute medizinische Behandlung? Wen erwartet er (noch) in seiner Adventszeit – außer gute Ärzte und Pfleger? Und wie erwartet er das Erwartete oder die Erwarteten?
Ist er mit seinen Wechselbädern von Hoffnungen und Ängsten, von Ermutigungen und Zweifeln (noch) offen für den unverschlossenen adventlichen Erwartungshorizont, dass Gott kommt und eingreifen kann – wie auch immer, aber zum Wohl und Heil des Kaktus?
Der Kaktus, weder einfach pessimistisch noch optimistisch, lässt sein Herz sprechen. Er sehnt sich nach einer unsichtbaren Hand, die ihn geschaffen hat. Er ergreift sie in fester Zuversicht, dass sie existiert, auch wenn er zurzeit seine Lage – und diese Hand – mit dem Kopf nicht so recht begreifen kann.
Der Kaktus, weder einfach panisch noch unvernünftig, entwickelt Geduld und Gelassenheit. Er überlässt dieser offenen Hand sich selbst und seine Zukunft, indem er lernt – „Step by Step“ – seine Sorgen, auch seine Wut wegen der Verletzungen loszulassen, weil er der schöpferischen Hand neue Möglichkeiten zutraut.
Der Kaktus, weder einfach verkrampft noch gelähmt, engagiert sich besonnen und zugleich leidenschaftlich. Er verspürt in seinem Herzen die Gewissheit, dass die liebende Hand, die er nicht versteht, ihn versteht, vor allem ihn trägt, ihn – trotz seiner Stacheln – an die Hand nimmt und zum neuen Licht der Erkenntnis und Wahrheit führt.
Der Kaktus vertraut und weiß: Warten lohnt sich. Seine Blüten kommen, auch wenn er sie nicht terminieren, lokalisieren oder für alle anderen standardisieren kann. Und warum sollte er auf Gott nicht warten, der schon durch die Geburt seines Sohnes eingegriffen hat?! Und die dunkle Welt durch die Blüte des Glaubens und der Liebe immer noch erhellt und erwärmt?!
Burkhard Budde
Veröffentlicht auch im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 12.12. 2020