Auf ein Wort
Literatur als Anker
Von Burkhard Budde
Auf ein Wort
Literatur – ein Anker
Kann die Welt der Literatur ein Anker in schwierigen Zeiten sein?
Manche Liebhaber der Literatur erleben die Dichtkunst („Buchstabenschrift“; lat.“literatura“) als bewusste Flucht in eine heile Welt, in der das Gute das Böse stets besiegt; andere sehen sie als eine süße Droge einer heillosen Welt, in der das Böse das Gute stets zerstört; wieder andere verstehen sie als ein schillerndes Feuerwerk wechselnder guter und böser Gefühle in einer heilbaren Gegenwelt.
Manche Liebhaber der Digitalisierung jedoch sehen die Literatur bereits im Sterbebett liegen. „Das Buch“, aber auch andere gedruckte Medien wie Zeitungen seien Auslaufmodelle. Sie weisen auf die attraktiven Alternativen hin, die das Buch auf Dauer verschwinden lassen würden: Fernsehen, soziale Medien, Smartphone und Künstliche Intelligenz. Als Beleg dafür nennen sie z.B. die digitale Dauerbeschallung und –beschäftigung, die geringer werdende Lesekompetenz von Schülern, aber auch die vielen Chancen der digitalen Welt im Blick z. B. auf Bildung, Medizin, Politik, Beruf und Zivilgesellschaft.
Dennoch wachsen im Garten der Denker und Dichter immer wieder neue Werke mit unterschiedlichen Blüten und Früchten; in Deutschland waren es im Jahr 2024 etwa 60 000 neue Bücher: Manche wollen insbesondere unterhalten – Türöffner für Träume und Wünsche sein; andere bereichern – den Schatz des Wissens und Gewissens erweitern und erneuern.; wieder andere die Welt verändern – Motoren sein, indem sie Missstände offenbaren und Perspektiven der Erneuerung aufzeigen.
Es gab und gibt auch anspruchsvolle Texte und Bücher, die die Welt verschlüsselt darstellen. Dann ist der Leser gefordert, die Intention des Werkes zu entschlüsseln, den Text im Kontext z.B. des Zeitgeistes zu lesen – offen, neugierig und vorurteilsfrei, um die Stimme des Textes hören zu können.
Liebhaber der Literatur wissen, dass es wichtige Bedingungen für intensives Lesen anspruchsvoller Texte gibt: Stille und Zeit, um überhaupt und ungestört in die Welt des Buches eintauchen zu können, aber auch emotionale und kognitive Anstrengungen, um einen Erkenntnisgewinn und Erlebnisgenuss zu bekommen. Wie bei anderen Anstrengungen auch, weiß ein Leser jedoch erst nach dem Knacken der Nuss, ob er eine Frucht oder nur Leere entdeckt, ob ein Text substanzlos oder wirklich Tiefgang hat.
Wahre Liebhaber bilden sich eine eigene Meinung, was die Qualität eines Buches oder Textes anbelangt. Sie lassen sich nicht von der Höhe der Verkaufszahlen, der Größe des Verlages, vom schönen Schein oder den Preisen, die der Autor erhalten hat, beeindrucken. Ihre Liebeserklärung an ein Buch liegt an dem mitreißenden und begeisternden Werk selbst, weil es die Augen des Lesers für die literarische Wirklichkeit und sein Herz für eine Beziehung mit der Stimme des Werkes geöffnet hat.
Die Seele und der Geist des Lesers finden eine befreiende Verankerung in schwierigen Zeiten, wenn die Literatur als Spiegel des schöpferischen Geistes dem Leben dient, ein Buch nicht zugeschlagen, sondern aufgeschlagen und gelesen wird.
Burkhard Budde