Moment mal

Moderner Mensch

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Ein moderner Mensch 

Kann ein moderner Mensch eine religiöse Person sein – vielleicht ohne es zu wissen?

In einem Gespräch erzählte ein Mann, wie es zur Versöhnung mit seiner Tochter gekommen war. Nach einer langen Funkstille hatte es auf Vermittlung eines Freundes eine faire Aussprache gegeben. Viele Missverständnisse konnten ausgeräumt werden. Und am Ende hätten beide eine befreiende Versöhnung erlebt. „Ich habe meine Tochter um Entschuldigung für meine falschen Entscheidungen gebeten“, sagte der Mann. Und seine Tochter hätte gesagt: „Bitte verzeih mir, dass ich dich verletzt habe“. Beide versprachen einander, in Zukunft rechtzeitig über ihre Probleme zu sprechen. Und nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen sei. Oder wenn es zu spät sei – da das Leben „begrenzt, verletzlich, endlich und deshalb zu wertvoll ist, als sich wie ein seelenloser Stein zu bewegen“ – darin waren sich beide offensichtlich einig.

Doch dann kam wie aus heiterem Himmel der Zusatz: „Aber glauben sie nicht, dass ich religiös bin“. Aber wenn er – zum Beispiel durch sein Verhalten zu seiner Tochter – viel religiöser sein sollte als manche religiöse Menschen, die von Versöhnung reden, jedoch Zwietracht säen?

Der moderne Mensch, der eigentlich nicht über das Thema „Religion“ sprechen wollte, lachte. Seine Kommunikationsschleusen waren jedoch plötzlich geöffnet: „Ich glaube nicht, dass Gott ein Zauberer ist, der alle Probleme dieser Welt wegzaubern kann. Dass die Gemeindekirche ein Club Ewiggestriger oder politisch Gleichgesinnter sein sollte. Und dass die Sozialkirche Etikettenschwindel betreiben sollte, die sich nicht mehr von weltlichen Einrichtungen unterscheidet.“

Dass sein Gesprächspartner ihm noch Recht gab, verwunderte ihn. Und noch nachdenklicher wurde er, als er ihm sein Verständnis von „Religion“ erläuterte: Religion sei ein geheimnisvolles, außeralltägliches und außergewöhnliches Gefühl, das man nicht machen, sondern nur als Geschenk erfahren könne. Allerdings könne es geweckt werden, durch religiöse Musik, Kunst, Rituale, Symbole. Oder im Gottesdienst, „in dem es plötzlich „Klick“ machen kann“. Und wörtlich fügte er hinzu: „Religion kann eine Seele, die sich wie eine erloschene Kerze anfühlt, zum Leuchten bringen. Ein unglückliches Wrack froh, eine fremdbestimmte Marionette unabhängig machen.“

Ob sich die Seele eines modernen Menschen vielleicht nur in einem Dornröschenschlaf befindet und nur darauf wartet, vom religiösen Gefühl wachgeküsst zu werden? Allerdings müssen erst die Dornen der überheblichen Gleichgültigkeit, der notorischen Jammerkultur sowie der selbstverliebten Besserwisserei überwunden werden. Und religiöse Gefühle als das Licht der Seele sowie der Sehnsucht nach dem Ewigen braucht zugleich das Licht der Vernunft, der biblischen Deutungen, damit diese Gefühle nicht zum schwärmerischen Strohfeuer werden. Dann können beide Lichter dem modernen Menschen wichtig werden: Gott meint mich. Ich bin und bleibe mit meinem Schöpfer geheimnisvoll verbunden. Und  ich bin Teil einer religiösen Bewegung, die mich in die Verantwortung zur Liebe und Versöhnung in der Welt und für die Welt ruft.

Burkhard Budde