Moment mal
Aus Lebensgeschichte lernen
Von Burkhard Budde
Auf ein Wort
Lernen aus Lebensgeschichte
„Dicke Luft“ liegt in der Luft. Was tun? Ohne die (Vor-) Geschichte zu kennen, sind viele kopflos und machtlos. Konflikte und Spannungen lassen sich nur schwer verstehen, beurteilen und bewältigen, wenn gewachsenen Situationen nicht gekannt, erkannt und anerkannt werden, die ja nicht vom Himmel gefallen sind. Das gilt besonders für Unbeteiligte, die häufig einseitig, übereifrig und erregt „informiert“ und manchmal auch – gezielt oder unbewusst – instrumentalisiert werden sollen. Unabhängige Helfer wie Berater sollten deshalb bei Bewältigung z.B. von Beziehungs- und Wahrnehmungskonflikten möglichst alle Konfliktparteien anhören, ohne sich selbst als Richter oder Staatsanwalt aufzuspielen, aber um sich eine eigene Meinung bilden und Brücken schlagen zu können.
Überhaupt lehrt die Geschichte des Lebens, dass „schreiende Ungerechtigkeiten“ und „persönliche Verletzungen“ stets eine Vorgeschichte haben und immer wieder nachgetragen werden, wenn sie nicht rechtzeitig sachlich und fair, wahrheitsgemäß und konstruktiv im gegenseitigen Respekt ausgetragen werden. Und keiner sollte sich darüber wundern, wenn Geschichten einer Familiengeschichte plötzlich in ganz anderen Zusammenhängen das blendende Licht der Welt erblicken: „Du hast dich schon immer so verhalten…“.
Natürlich gibt es Geschichten aus alter Zeit, in denen sich Halbwahrheiten und Wahrnehmungsstörungen, Selbstgerechtigkeit und Selbstgenügsamkeit so sehr mischen, dass sie in Stein gemeißelt sind, dass es eine Sisyphusarbeit ist, sie abzutragen oder wegzutragen – ohne viel Erfolg und Sinn, da Unbelehrbare diese gefährlichen Steine der Erinnerungen immer wieder neu aus der Tiefe hervorholen, um andere damit zu bewerfen. Dann gibt es wohl nur den Rat, in Deckung zu gehen. Oder die spitzen Steine leblos auf dem Grund der Vergangenheit liegen zu lassen, da der Klügere bekanntlich nachgibt. Oder den Konflikt über eine Deutungshoheit juristisch zu institutionalisieren, damit er nicht mit Endlosschleife eskaliert. Auf keinen Fall sollte der „Klügere“ selbst mit Steinen werfen, um sich „ordentlich“ zu rächen, da alles nur verschlimmert wird. Wer Kraft hat, kann im Wartestand geduldig und selbstbewusst auf „ein Wunder der Veränderung“ hoffen. Die muss allerdings immer vom Menschen selbst ausgehen, da eine erwachsene Person sich weder mit Engelszungen noch mit Verteufelung konstruktiv bewegen lässt, sondern nur durch eigenes Erkennen und Wollen.
Aber wer kennt – neben Vergangenheit und Gegenwart – die Zukunft, die stets offen und voller Überraschungen bleibt? Vielleicht kann der stete Tropfen zivilisierten Verhaltens eines Tages doch den Stein des Anstoßes aushöhlen. Und jemanden zum selbstkritischen Nachdenken bringen. Oder jemand hört nicht nur die christliche Botschaft von der allumfassenden Liebe Gottes, sondern wird Täter dieser einladenden Vergebungs- und Versöhnungsbereitschaft, wagt den ersten Schritt, ohne seine Wehrhaftigkeit und sein Selbst aufzugeben. Weil möglichst viele lebendige Steine für das gemeinsame Haus des Lebens gebraucht werden – als einen menschlichen Ort mit ausstrahlender Würde in Freiheit und Verantwortung.
Burkhard Budde