Moment mal

Esel, Hund, Katze, Hahn

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort 

Esel, Hund, Katze, Hahn 

Ein Esel hatte in seinem Leben treue Dienste geleistet. Als er älter und schwächer geworden war, sollte er verkauft und in andere Hände gegeben werden. „Ist das gerecht?“ fragte sich der Esel. „Werde ich jetzt nur noch höflich geduldet? Muss ich nur noch auf meinen Tod warten?“ Er schrie „i-ah!“: „Ich bin doch ein Esel und muss mir nicht alles gefallen lassen!“ Auch er behalte seine Würde, selbst wenn er nicht mehr so leistungsfähig wie früher sei und nutzlos erscheine. Als der alte Esel von einem Ort hörte, wo es auch für ihn noch ein glückliches Leben geben könne, gab er sich einen Ruck und verließ seinen Stall. 

Auf dem Weg begegnete ihm ein alter Hund, der jaulte: „Ich soll nur noch in meinem Zwinger bleiben, bis ich tot bin!“ Aber er könne doch noch laut bellen, wenn sich Wölfe näherten. Und er sei immer noch in der Lage, die Schafherde zu verteidigen, sogar den Angreifer wegzubeißen. 

Da kam eine alte Katze aus ihrem Versteck gekrochen, und fauchte: „Mir geht es ähnlich. Im Alter bin ich nur noch zum Kuscheln gut, aber meine Freiheit außerhalb des Hauses soll ich nicht mehr selbstbestimmt genießen dürfen!“ 

Da krähte ein alter Hahn: „Wohl wahr. Auch meine Stimme wird nicht mehr gerne gehört. Ich soll nur noch wie ein Papagei das nachplappern, was andere Stimmen vorplappern. Oder meinen Schnabel halten, bis ich auf einem Teller gelandet bin.“ 

Alle Tiere beschlossen, sich gemeinsam auf den Weg zum Sehnsuchtsort zu machen. Kein Tier wollte lieblos vom Leben ausgeschlossen werden und ein fremdbestimmtes Sterben auf Raten erleben. 

In der folgenden Nacht entdeckten sie ein Haus, in dem Lichtgestalten mit Schattenspielen lebten. Im Brustton moralischer Überlegenheit sowie sachlicher Besserwisserei hörte man sie reden und über andere gehässig sprechen und lästern. Waren sie das alleinige Maß aller Dinge? Die Taktgeber und Bestimmer auch allen Lebens? Hatten sie die Weisheit mit Löffeln gegessen? Oder kochten sie nur ihr eigenes Süppchen? 

Vor dem Fenster des Hauses positionierte sich das Quartett, furchtlos, aber nicht zahnlos: Der Hund stand auf dem Rücken des Esels; die Katze auf dem des Hundes, der Hahn auf dem der Katze. Mit vernehmbaren und klaren Worten sowie leidenschaftlicher Überzeugungskraft überraschten und vertrieben sie die mächtigen Alleswisser und Alleskönner aus dem Haus in die Nacht der Bedeutungslosigkeit. 

Die Unterschätzten und Kleingehaltenen hatten durch ihren gemeinsamen Willen, frei und selbstbestimmt zu leben, sowie durch ihr solidarisches Handeln der eigenen Entwürdigung die Stirn geboten, Klartext in ihrem Kontext geredet. Die Angst vor Veränderung und Kritik war gewichen und neues Selbstvertrauen entstanden. Nun konnte nachhaltiges Leben in vielfältiger Gemeinschaft gestaltet werden. 

Und die Vier blieben in dem Haus wohnen, weil sie in der Bejahung ihrer jeweiligen Identität sowie im Zusammenhalt aller den Sehnsuchtsort in Würde, Freiheit und Sicherheit gefunden hatten. 

Burkhard Budde