Moment mal
Alles nur Theater?!
Von Burkhard Budde

Moment mal
Alles nur Theater?
Zuerst sah sie ihn mit großen Augen an. Dann rieb sie sich die Augen. Schließlich winkte sie mit einer Handbewegung dankend ab. Ihr Freund hatte sie zu einem Theaterbesuch eingeladen. Und beim Wort „Theater“ waren reflexartig und blitzschnell bunte Bilder in ihrem Kopf entstanden, die bei ihr viele Jahre verschüttet oder verdrängt worden waren.
Viele Bilder können im Kopfkino erscheinen. Ist das Theater nur ein Marktplatz freier Bürger, die beim Besuch auf ihre Kosten kommen und ihre seelischen Bedürfnisse befriedigen wollen? Und nicht selten ihr inneres Gähnen verbergen, weil ständige Wiederholungen sie langweilen? Oder ist das Theater auch ein Mitteilungsraum glücklicher Lebenskünstler, die mit ihrem Rollen- und Maskenspiel dem realen Überlebenskampf eine neue Perspektive geben und dem Zuschauer vermitteln können?
Nur ein Tollhaus für starke Nerven, wenn nicht nur Gruseliges und Brutales, sondern auch Ekeliges und Geschmackloses dargestellt werden? Oder auch ein Luftschloss für Träumer und Verträumte, die sich nach Liebe sehnen oder ihre Liebe befeuern wollen?
Nur ein Spielfeld für Regisseure, die sich nicht als mündige Diener eines Werkes, sondern zugleich als Rebell und Erzieher verstehen, um aus Zuschauern Verbündete ihrer Botschaft zu machen, die jedoch häufig mit den Füßen über absurde Aktualisierungen abstimmen? Oder auch eine künstlerische Kulturstätte, in der mit gespielten Wahrheiten inszenierte Unterhaltung und geistige Horizonterweiterung angeboten werden? Um vom negativen Geist befreite Bürger neu zusammenzuführen, damit sie jenseits der Vorführung in der Zivilgesellschaft verantwortungsbewusst zusammenhalten?
Um jedoch die Erlebniskraft eines ästhetisch und ethisch verschmolzenen Theaterstückes kennenzulernen – ein berauschendes Gemeinschaftsgefühl, einzigartige emotionale Berührungen der Seele, aufregende intellektuelle Entdeckungen – sind Offenheit sowie eine möglichst vorurteilslose Begegnung nötig. Wenn sich der Vorhang hebt, sollten alte Bilder zur Seite gelegt werden. Und wenn der Vorhang am Schluss gefallen ist, dann kann der Blick frei bleiben auf das neu Erlebte, das Unfertige, aber auch auf das Gelungene, den Erkenntnisgewinn. Und das Geschehen darf mit empathischer und kritischer Vernunft bedacht werden.
Das Leben selbst kann ein interpretiertes und christlich lesbares Schauspiel sein; man denke nur an die Passionsspiele. Aber nicht alles im Leben ist eine Mischung aus Tragödie und Drama. Manche ist auch eine anspruchsvolle Komödie, in der die Augen anfangen zu glänzen und zu strahlen.
Burkhard Budde
Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 4.2.2023 in der Kolumne „Moment mal“