Moment mal

Glaube und Wissen

Von Burkhard Budde

Moment mal

Glaube und Wissen 

Menschen diskutieren.

Die eine Person ist Naturwissenschaftlerin und „an Fakten und Tatsachen interessiert“. Für sie gilt nur das im Experiment Feststellbare, Messbare, Überprüfbare. Ihr Motto lautet: „Hauptsache, das richtige Wissen und das Ergebnis stimmen“.

Die andere Person ist ein frommer Mann, der an Aussagen seiner Heiligen Schrift interessiert ist. Für ihn gilt nur das Gelesene, das Gehörte, das Erlebte. Sein Motto lautet: „Hauptsache, das richtige Bekenntnis und das Verhältnis zu Gott stimmen.“

Eine weitere Person stellt sich als Kulturwissenschaftlerin vor, die sich vor allem mit den Kulturleistungen der Gesellschaft beschäftigt. Für sie gilt nur, was sie durch ihre Brillen – z.B. durch die Brille der „Sprache“, „Kunst“, „Religion“, „Medien“, „Geschichte“ – sieht. Ihr Motto lautet: „Hauptsache, die richtige Anerkenntnis der Kultur und das Verhältnis zu Gruppen stimmen, passen zum Proporz und zur Vielfaltsquote.“

Aber gibt es wirklich nur die „eine“ Wirklichkeit? Ist die Wirklichkeit nicht mehr als ein wissenschaftliches Experiment, mehr als ein frommes Leben, mehr als kulturelle Zuschreibungen? Geht es nicht immer „nur“ um unterschiedliche Betrachtungsweisen? Und welcher Mensch kennt die „ganze Wahrheit“?

Vielleicht hilft ein Brückenschlag, um zusammenzuführen, was eigentlich zusammengehört:

Ein Wissen ohne Glauben kann herzlos, ein „vernünftiger Typ“ zu einem eiskalten Stein werden, der vom Wasser der Menschlichkeit umspült wird, aber im Innersten trocken bleibt. Er versteht sich selbst als unnahbaren Wissensgott.

Ein Glaube ohne Wissen kann maßlos werden; ein „frommer Typ“ kann ein Feuerwerk der Gefühle erleben, die im Innersten wie schöne Farben und Formen aufblitzen, aber schnell abbrennen, sich im Alltag als Schwärmerei oder als Bedeutungslosigkeit offenbaren. Er erlebt sich selbst als erwählten Ersatzgott.

Demgegenüber kann ein Wissender demütig bleiben, weil sein Wissen zwar stets Stückwerk ist, er aber neugierig nach dem „Wie“ der Wirklichkeit fragt und offen für neue Entdeckungen ist. Er kann gleichzeitig aus der Quelle des Glaubens Kraft- und Sinnerfahrungen schöpfen.

Und der Glaube kann mutig bleiben, weil er zwar den Zweifel kennt, aber wissbegierig nach dem „Wozu“, dem Sinn und dem „roten Faden“ der Wirklichkeit fragt – gepaart mit dem wachsenden Schatz des menschlichen Wissens, der einen menschengerechten Fortschritt stärkt.

Beide – Glaube und Wissen – können auf neue Gewissheiten durch Gott selbst hoffen, der seine Geschenke – den Glauben an seine liebende Wirkmacht und die aufgeklärte Vernunft in Verantwortung vor ihm – miteinander versöhnt. 

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 21.1. 2023 in der Kolumne „Moment mal“