Moment mal
Faszination Glaube
Von Burkhard Budde

Moment mal
Faszination Glaube
Gehören Sie zu den Kirchenbegeisterten, weil die letzte Predigt des Pfarrers Sie persönlich angesprochen hat? Und es überhaupt Freude macht, den Gottesdienst der Gemeinde, in dem gebetet, gesungen und gefeiert wird, zu besuchen. Oder zu den Kirchenfrustrierten, weil das Handeln des Amts- und Würdenträgers so laut spricht, dass man die Botschaft von der Kanzel nicht mehr hören kann? Und eine kirchliche Bürokratie mit Hierarchien, Eigensinn, Kompetenz- und Machtgerangel kaum noch von einer weltlichen Behörde zu unterscheiden ist.
Ob verzückt, berechtigt oder unberechtigt kritisiert – Kirche hat wohl keine Zukunft als moralisierende Institution ohne Geist, Seele und Hände, als Goldener Käfig mit unnahbaren Orchideenzüchtern in bunten Talaren, als reformunfähiges Kartenhaus mit entleerten Traditionen, als bloßes Spielfeld religiöser oder politischer Kräfte, als „fades Salz“, dass seinen Geschmack und seine Faszination verloren hat. Und die Abstimmung mit den Füßen sowie die Gleichgültigkeit stärkt.
Will die Institution Kirche auf dem Marktplatz der Sinn- und Werteangebote nicht untergehen, muss sie ein einladender Ort mit einer unverwechselbaren und unvertretbaren Anziehungs- und Ausstrahlungskraft sein: Für Gläubige, die mal vom „Kirchenglück“ beflügelt, mal vom „Kirchenärger“ gebeutelt werden. Für säkulare Menschen, die Glaubwürdigkeit erwarten, dass „die Kirche“ ihre spezifischen Werte (vor-)lebt, dass sie dient, nicht herrscht, auch nicht dienert und heuchelt oder nur mit sich selbst beschäftigt ist. Und vor allem die provozierende Botschaft vom auferstandenen Gekreuzigten nicht verschämt verschweigt.
Reformen ohne spirituelles Leben laufen ins Leere. Neue Glaubensorte ohne Gläubige bleiben leer. Fragende und belastete Menschen suchen mehr: Ein geistliches Lagerfeuer, an dem ihre Seele gewärmt, ihr Geist erhellt und wertschätzende Gemeinschaft erfahrbar wird. An dem sie ganzheitlich angesprochen, getröstet, ermutigt und befreit werden. An dem andere Fragende ihre Fragen versuchen mit zu beantworten.
Vielleicht erleben Menschen auch einen „fahrenden Platzregen“ (Luther), der von Gott geschenkt wird – den Schöpfergeist im Wort Gottes, der nicht die Sonne der Selbstgerechtigkeit, sondern die Sonne der Gerechtigkeit scheinen lässt.
Eine Kirche, die sich diesem Geist öffnet, erneuert sich selbst, wird zum sozialen Brückenkopf und zur Mitgestalterin der Gesellschaft, zum Salz der Erde – nicht schwärmerisch und unvernünftig, sondern nachhaltig und nüchtern. Christen hoffen auf den Geist Christi, der Lebensatem schenkt, das Leben beseelt und zugleich kraftvoll und besonnen in Atem hält.
Burkhard Budde
Veröffentlicht im Wolfenbütteler Schaufenster im Landkreis Wolfenbüttel am 5. Juni 2022 in der Kolumne „Auf ein Wort“
und im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 8. Juni 2022 in der
Kolumne „Moment mal“