Moment mal

Reden oder schweigen?

Von Burkhard Budde

Nicht sehen, nicht hören, nicht sprechen?

Moment mal

Reden oder schweigen?

Wenn es immer so einfach wäre: Reden ist Silber, heißt es im ersten Teil eines bekannten Sprichwortes.

Also – versilbert erscheint das Reden, wenn es sich nicht unterdrücken oder verbieten lässt. Ein freier Bürger sagt in einem freien Land seine Meinung und äußert auch das, was der Gesprächspartner vielleicht nicht hören will. Er verlässt den Meinungskerker des „allgemeinen Denkens“, läuft keiner Gruppenmeinung  hinterher, sondern versucht, sich mit Hilfe unabhängiger Quellen eine eigene Meinung zu bilden, die er offen und begründet vertreten kann.

Nicht ohne Grund wird eine Kultur kritisiert, die Andersdenkende an den Pranger stellt und als „unkorrekt“ geißelt, selbst wenn ihre Sichtweise „gute Gründe“ hat. Eine Kultur des Kaltstellens Andersdenkender führt zu einem ängstlichen Reden auf Sparflamme, zur gehorsamen Anpassung oder zur Heuchelei, vor allem verbleibt eine konstruktive Auseinandersetzung in der Sache.

Der französische Vordenker der Aufklärung Voltaire (1694-1778) bleibt mit seinem Kampf um die Meinungsfreiheit Andersdenkender aktuell: „Mein Herr, ich teile ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“ Allerdings ist auch die Meinungsfreiheit als individuelle Freiheit nicht grenzenlos: Persönliche Beleidigungen, üble Nachreden, Hass und Volksverhetzungen sind keine Meinungsäußerungen, sondern Straftatbestände und Sache unabhängiger Gerichte.

Schweigen ist Gold, lautet der zweite Teil des Sprichwortes.

Also – vergoldet erscheint die Stille, nicht die leere oder konspirative, sondern die schöpferische Stille, in der erst nachgedacht,  unterschieden, geprüft und abgewogen wird. Denn Schnellschüsse aus der Hüfte, reflexartige Urteile als Bestätigung von Vorurteilen, vergiften das Meinungsklima und fördern das Freund-Feind-Denken. Und verletzende Äußerungen können nur schwer zurückgenommen werden. Dennoch: Meinungsfreiheit ist kein Freibrief für boshafte Maulwürfe, die im verschwiegenen Untergrund ihr Unwesen treiben. Zur Freiheit gehören die hörbare Verantwortung zur aufklärenden Wahrheit sowie die faire Ahndung von Ungerechtigkeit, damit sich das Unmenschliche nicht vermehrt.

Wann ist Schweigen, wann ist Reden angesagt? Alles hat seine Zeit (Prediger Salomo 3). Doch stets ist Hören – keine Hörigkeit -, Erklären – kein Verklären -, Verstehen – kein Nachplappern -, Aufklärung – keine Rache –, Erneuerung – kein Stillstand – angesagt.

Und offener und mutiger Widerspruch, wenn Silber und Gold nicht mehr unterschieden werden können, die Würde des Einzelnen mit Füßen getreten wird. Dann ist Silber wertvoller als Gold.

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Westfalen- Blatt in Ostwestfalen und Lippe

am 29.1.2022 in der Kolumne „Moment mal“