Moment mal
Zugeknüpft?
Von Burkhard Budde

Muscheln – Ort für Sandkorn und für Perle
Kostbare Perle
Muscheln liegen auf dem Meeresboden. Ihre Gehäuse, die ihre Weichkörper schützen und aus zwei Klappen bestehen, sind häufig fest verschlossen.
Eine Muschel begründet ihre Verschlossenheit: Sie wolle sich vor fremden Gefahren in Acht nehmen. Vor allem habe sie kein Interesse an Themen, die sich außerhalb ihrer Welt befänden. Und warum sollte sie neugierig auf Unbekanntes sein, wenn sie nichts vermisse? Sie bleibe lieber alleiniger Autor und Regisseur ihres überschaubaren Lebens.
Warum verzichtet die zugeknöpfte Muschel freiwillig auf neue Erfahrungen, die sie in Frage stellen, aber auch klüger machen können? Oder ist ihre vorauseilende Denksperre bequemer als kritisches Nachdenken? Und einfacher, wenn Ebbe und Flut ihr eigene Entscheidungen abnehmen?
Eine andere Muschel hat ihr Gehäuse einen Spalt geöffnet. Ein Sandkorn dringt zufällig in ihr Innerstes. Entsetzt fordert die Muschel den Eindringling auf zu verschwinden. „Du richtest nur Unruhe und Unheil an!“ Aber der ungebetene Gast bleibt, wo er ist, trotzig und hartnäckig. Alle Versuche der Muschel, ihn zu vertreiben, scheitern.
Die Muschel hadert mit dem Meer: Ihr Leben sei total aus dem Ruder geraten. In ihrem Inneren herrsche jetzt Angst, mit dem Sandkorn teilen zu müssen, Neid, im Vergleich mit ihm den Kürzeren zu ziehen, Gier, den eigenen Hals nicht voll genug zu kriegen. Zudem seien ihre Erwartungen tief enttäuscht worden. „Aber“, fügt sie an die Adresse des Meeres noch hinzu, „dir wird es nicht gelingen, mich zu zerstören. Ich werde dir dennoch vertrauen, trotzdem auf Sinn hoffen. Denn durch dich bin ich, was ich bin und was ich sein werde.“
Eines Tages holt ein Taucher die beiden Muscheln vom Meeresboden und öffnet sie. Die eine ist leer, die andere beherbergt eine kostbare Perle, die das Leben verändert. Neues Vertrauen in die Hilfe und Führung des Schöpfers in schwierigen Zeiten kann wachsen. Denn seine Gedanken sind tiefer als das Meer, höher als der Himmel, weiter als der Horizont. In Gott ist nicht Torheit, sondern letzte Weisheit, nicht Chaos, sondern letzter Sinn. Und neue Entdeckungen sind durch Offenheit und Geduld sowie durch Annahme des ganzen Lebens erfahrbar.
Burkhard Budde
Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe
in der Kolumne „Moment mal“ am 4.9.2021