Moment mal
Kritik in Liebe
Von Burkhard Budde

Geduld kann etwas Neues wachsen lassen
Kritik in Wahrheit und Liebe
Vollkommenheit ist Sache der Halb- und Ersatzgötter. Unvollkommenheit jedoch gehört zum Menschsein dazu: Kein Mensch macht immer alles richtig oder immer alles falsch. Fehler zu machen ist kein Makel; sie zu vermeiden ist klug, aus ihnen zu lernen zeigt Größe und Weisheit.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Wirklichkeit wahrzunehmen: Wer ständig mit der Lupe nach Schwachstellen sucht, wird häufig seine eigenen Schwächen finden und ewiger Nörgler oder kleinlicher Übertreiber. Und er zerstört auf Dauer eine Gemeinschaft, wenn er seinen Finger zynisch in offene Wunden legt.
Wer auf der anderen Seite alles und alle durch die rosarote Brille sieht, lobhudelt, blind liebt, Missstände einfach unter den Teppich kehrt und schlechte Eigenschaften ständig in Watte packt, wird mit der Zeit durch (Selbst-) Täuschungen enttäuscht. Und er opfert eine realistische Sicht, die eine Veränderung ermöglicht hätte.
Die Lichtquelle der kritischen Aufklärung bringt mehr Licht in die Dunkelheit der Wirklichkeit. Natürlich schmerzt Kritik, wenn sie begründet ist oder als Besserwisserei viel zu spät ausgesprochen wird. Sie verletzt die Seele eines Menschen jedoch besonders schwer, wenn sie unbegründet ist – denn selbst bei ständigen Wiederholungen werden unwahre Behauptungen nicht wahr. Und wenn eine Kritik vor versammelter Mannschaft einen Menschen bloßstellt oder herunterputzt, provoziert sie aggressive Abwehrhaltung oder verlogenes Duckmäusertum.
Das kritische Licht erhellt Unterschiede und Bedingungen, bespricht Fehler und Missstände in angstfreier Atmosphäre, ist sachlich, fair und lösungsorientiert. Und sieht den Kritisierten stets im Lichte der Menschlichkeit – als Menschen, dem der Kritiker bei der Suche nach Veränderungsmöglichkeiten hilfreich zur Seite steht. Der erleuchtete Kritiker beginnt mit Selbstkritik, vergisst nicht den Balken im eigenen Auge beim Bennen des fremden Splitters im Auge des Kritisierten und strebt das Ziel an, gemeinsam wieder an einem Strang zu ziehen.
Es lohnt sich, das Goldstück im Schlamm zu sehen und nicht ständig den Schlamm. Daran erinnert Jesus: Kein Mensch lebt von Kritiksucht oder Harmoniesucht, sondern jeder Mensch braucht Annahme und Bejahung, ein „Wort, das durch den Mund Gottes geht“ (Matthäus 4,4). Dann wird Kritik in Liebe und Wahrheit möglich, die heilsam und befreiend ist, können sich Menschen zum Besseren entwickeln. Und da Gott vollkommene Liebe ist, spiegeln Gottvertrauende seine Liebe wider – seine Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.
Burkhard Budde
Veröffentlicht auch im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe
in der Kolumne „Moment mal“ am 10.7.2021