Moment mal
Bewegungen
Von Burkhard Budde

Im kirchlichen Raum gibt es faszinierende Bewegungen und Begegnungen.
Zauberhafte Bewegungen
Wie kommt schöpferischer Geist in nette Personen?
Zum Beispiel in die freundliche Verkäuferin, die auf dem vielfältigen Marktplatz ihre Produkte wie Verkündigung, Seelsorge, Unterweisung und Barmherzigkeit anbietet.
In die vornehme Schulmeisterin, die auf dem öffentlichen Parkett dem Zeitgeist huldigt, gleichzeitig Noten verteilt, aber von der Gesellschaft kaum noch ernstgenommen wird.
In die höfliche Managerin, die sich im Sozialstaat als Marktriese aufplustert und Nächstenliebe nur noch ins Schaufenster stellt.
In die lächelnde Beamtin, für die in ihrer Organisation ein Formular, die Hierarchie und ihre Macht wichtiger sind als ein Mensch, seine konkrete Not und ihre eigene Hilfsbereitschaft.
Oder in einen netten Menschen, der für die Welt offene Türen predigt, aber die eigene Haustür verschließt, Etikettenschwindel betreibt und gleichzeitig fleißig Etiketten verteilt.
Alle Menschen – nicht nur „nette Menschen“ und „Visistenkarten Gottes“ – können den schöpferischen Geist Gottes entdecken: Durch geistliches Leben, indem sie das Wort Gottes suchen. Das Wort Gottes ist weder ein schönes Sahnehäubchen auf einer religiösen Feier noch knüppelhartes Brot, an dem man sich geistig die Zähne ausbeißt, noch süßer Zucker im Tee des Lebens, der sich auflöst und sozial unsichtbar wird. Es kann vielmehr wie ein „Kräutlein“ (Luther) wirken. Je mehr daran gerieben wird, desto mehr duftet es. Je offener ein Mensch mit diesem Wort ins Gespräch kommt – betend, denkend oder singend – , desto leichter kann er den Geist Gottes im Wort Gottes wahrnehmen:
Als ethischen Kompass, mit dem er sich neu orientiert, als spirituelle Quelle, aus der er neue Kraft und Zuversicht schöpft, als letzte Instanz seines Gewissens, um verantwortlich vor Gott neu zu leben.
Kirchen, die dem geistlichen Leben Raum, Tiefgang und Fülle geben, sind keine Zauberorte oder verzauberte Orte, wohl aber zauberhafte, einzigartige und außeralltägliche Begegnungsorte, die dem ganzen Menschen im Namen Gottes dienen. Wenn jedoch ein menschliches „Gefäß Gottes“ mit destruktivem Geist gefüllt ist, muss es zunächst „entzaubert“ und entleert werden, damit Platz geschaffen wird für den „Geist der Kraft, der Liebe und Besonnenheit“ (2.Tim 1,7) sowie für den kritischen Geist, der alles prüft und das Gute behält (1.Thess 5,21) – um Strukturen und Angebote im Geist liebender Vernunft zu erneuern.
Doch nicht die Kirche rettet das Wort Gottes, wohl aber kann der Geist Jesu Christi im Wort Gottes dem „Gefäß“ eine Zukunft schenken. Und da die Kirche Jesu Christi kein Besitz des einzelnen ist, vielmehr jeder einzelne Christ Kirche ist, fängt die Rundumerneuerung bei jedem einzelnen an. Und jenseits seiner Nettigkeit kann ein vom schöpferischen Geist bewegter Einzelne viel bewegen.
Burkhard Budde
Veröffentlicht auch im Westfalen-Blatt am 15.5.2021 in Ostwestfalen und Lippe in der Kolumne „Moment mal“.