Moment mal
Vorbilder gesucht
Von Burkhard Budde

Jeder kann zum Vorbild werden.
Der Markt der Vorbilder ist ein Markt voller Überraschungen. Besucher, die offen und neugierig sind, können zum Beispiel der Königin Ester begegnen, besonders ein Vorbild für Juden, wenn es um den Überlebenswillen in großer Not geht – im Vertrauen auf „Jahwe“, den „Unaussprechlichen und Mächtigen“. Oder sie treffen auf Jesus von Nazareth, für Christen der gekreuzigte und auferstandene „Sohn Gottes“ – im Vertrauen auf den „liebenden Vater“, den „Schöpfer und Erlöser“. Wieder andere lernen Mohammed kennen, für Muslime der „Gesandte Gottes“, den göttlichen Verkündiger und politischen Staatsmann – im Vertrauen auf „Allah“, den „Barmherzigen und Erbarmer“.
Viele andere Beispiele gibt es – religiöse, aber auch politische, historische und aktuelle, literarische und künstlerische, darunter nicht nur „Gottes Bilder“ und „Menschen Bilder“, sondern leider auch Zerrbilder und Trugbilder.
Der unbescholtene Bürger – kein Held oder Märtyrer – sucht nicht selten Vorbilder, um Orientierung zu haben, aber auch um sich zu reiben, dazuzulernen und sich weiterzuentwickeln. Besonders in turbulenten Zeiten kann er zur eigenen Überraschung entdecken, dass er selbst zum Vorbild wird, wenn er freundlich und höflich, taktvoll und respektvoll ist, auch hilfsbereit, versöhnungsbereit und solidarisch. Wenn er niemanden in den Schatten stellt, sondern die dunkle Zeit erhellt. Wenn er in die Augen des Andersdenkenden sehen kann, ohne einen Funken Neid oder gar Feindseligkeit in seinem eigenen Auge zu haben. Wenn er tolerant und vorurteilsfrei tragfähige Brücken schlägt, ohne sein Profil preiszugeben, statt Gräben zu vertiefen. Dass er dann – vielleicht ohne es selbst zu wissen – keine Kopie, sondern gelebtes Abbild seines ewigen Urbildes ist, Ebenbild seines Schöpfers, der ihn unendlich liebt, damit er die Größe des kleinen Glücks und die persönliche Verantwortung in seinem Alltag findet.
Die Faszination des Glaubens, die durch Vorbilder geweckt werden kann, besteht im Vertrauen auf neue Möglichkeiten Gottes in einer Krise, auch menschliche Innovations- und Widerstandskraft zu stärken. Und dass Gott der Menschheit Kontinuität zwischen dem Jetzt und der Zukunft verspricht.
Wir brauchen Vorbilder, die Salz der Erde sind – nicht das gemeinsame Leben versalzen und ungenießbar machen, auch nicht das Salz, die Erneuerungs- und Unterscheidungskraft durch fehlenden Mut schal werden lassen. Wohl aber glaubwürdige Vorbilder, die das geschenkte Leben in Würde und Freiheit gestalten – vertrauensvoll und klug, zuversichtlich und verantwortungsbewusst.
Burkhard Budde
Veröffentlicht auch im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 30.1.2021 sowie im Wolfenbütteler Schaufenster am 31.1.2021